56 - Persönlichkeit - Warum ich die Gemeinde verlassen habe
Die wahre Prüfung einer erstklassigen Intelligenz ist die Fähigkeit zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren. - F. Scott Fitzgerald
Eine Gastpredigerin in unserer Gemeinde sprach einmal über die vier Persönlichkeitstypen aus dem alten Griechenland: Choleriker, Sanguiniker, Phlegmatiker und Melancholiker.
Ich würde sagen, dass die Erklärung für diese vier Typen heute wissenschaftlich widerlegt ist. Es liegt nicht an den vier im alten Griechenland bekannten Körperflüssigkeiten, dass wir uns unterscheiden.
Aber erstaunt hat mich die Reaktion unseres Pastoren doch. Hinter verschlossenen Türen machte er sich darüber lustig, dass die Ausreden, meine Persönlichkeit sei halt anders, jetzt plötzlich dazu führen sollten, dass sich die Gemeinde verändere.
Verändern solle sich gefälligst jeder einzelne, denn wenn so etwas wie verschiedene Persönlichkeiten überhaupt existiere, dann höchsten als Auswirkung der Sünde, der Erziehung, und des eigenen Unwillens. Ziel sei es, zu werden wie Jesus.
Das hat sich zeitweilig etwas aufgelockert, als wir einen Psychiatrieprofessoren in der Gemeinde hatten. Auch liess sich der Pastor überzeugen, den CliftonStrength zu machen, und war erstaunt, wie sehr er sich im Ergebnis wieder fand.
Trotzdem fand keine dauerhafte Entwicklung statt. Machmal gestand er jemandem jovial zu, etwas anders zu funktionieren als er, aber dann erwartete er wieder, dass jeder die Handlungsmuster übernahm, die er als richtig empfand.
Dabei hätte er selbst wirklich frei werden können, denn auch er handelte in vielen Aspekten entgegen seiner eigenen Natur und Persönlichkeit.
Wenn man aber annimmt, dass es das oberste Ziel ist, zu werden wie Jesus, und das auf Denk-, Fühl- und Handlungsmuster reduziert, dann ist jede Abweichung von der eigenen Vorstellung, wie Jesus war, natürlich Sünde.
Von mir als introvertierter Person wurde verlangt, dass ich nach dem Gottesdienst mit jedem einen kurzen Schwatz über Alltägliches halte.
Von mir als Enneagramm 5er wurde erwartet, dass ich mich mit Menschen auf dem Niveau eines Schulkindes unterhalte, damit sie nicht überfordert oder verwirrt würden. Auch mit dem Psychiatrieprofessor, denn es könnte ja jemand zuhören.
Von mir als neuroatypische Person wurde erwartet, dass ich auf die gleiche, emotionale, laute, sensorisch überflutende, extravertierte Art anbeten solle wie jeder andere.
Von mir als Person mit expliziten Stärken im Bereich strategisches Denken und Zukunftsorientierung wurde erwartet, dass ich im Hier und Jetzt lebe, keine strategische Planung mache, und Vision of Luftschlösser reduziere von der Art: Irgendwann werden wir Flughäfen und Flugzeuge besitzen, die es uns erlauben, jederzeit ein paar Hundert Leute an jeden Ort der Welt zu bringen für eine Evangelisation. Wie wir das erreichen sollten? Der Plan war recht einfach: wir müssen es nur glauben, dann wird Gott es tun.
Die Belohnung für’s Angepasst-Sein ist, dass alle Dich am Ende mögen, nur Du Dich selbst nicht. - Rita Mae Brown
Mein Fehler über die Jahre war, mich anpassen zu wollen. Warum? Ich hatte die Illusion, dass ich dann akzeptiert würde und so in eine Position käme, in der ich sanft von innen her Veränderung bringen könnte.
Wie Du weisst, habe ich mich getäuscht.
Ich habe die Konsequenz gezogen und die Konsequenzen getragen.
Ich möchte hier noch einmal warnen. Zu wachsen, zu erkennen, dass Gott mich in meiner Einzigartigkeit geschaffen hat und mich so liebt, auch wenn nicht alles perfekt und da noch gewaltiges Potential zur Entwicklung ist, zu denken, dass jenseits von richtig und falsch auch noch was existiert, dass eine eigene Wertehierachie im Dialog mit Gott wertvoll ist und ich nicht alles nur gehorsam von anderen übernehmen muss, all dies wird Dich zu einem Aussenseiter machen in der Gemeinde.
Für mich bedeutete das, dass ich fast alle Beziehungen verlor. Meine Familie und ein paar wenige Freunde blieben mir, und da bin ich sehr dankbar für. Ich verlor meine Gesundheit, meinen Job, meine Gemeinde.
Aber ich mag mich wieder. Ist alles gut? Nein. Auch wenn ich nicht viel fühle, halten mich die Erlebnisse der letzten Jahrzehnte doch noch zu sehr gefangen. Doch langsam kämpfe ich mich durch, werde, wer ich schon immer sein sollte und wollte.
Wenn Du an einem ähnlichen Punkt bist, sei es vor oder nach einer Entscheidung, zu wachsen und zu sein, wer Du bist, ich würde Dir gerne helfen dabei. ich werde Dir keine Ratschläge geben, und Dir erst recht nicht sagen, was Du zu tun hast. Ich werde Dich begleiten und mit meiner Geschichte, meinen Erfahrungen, meinen Werkzeugen für Dich da sein.
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